6. September 2022
Auf dem Weg zur Interoperabilität
Interview mit Nils Zeino-Mahmalat, VDV eTicket Service
Wie kann ein Ticket interoperabel genutzt werden, also zwischen unterschiedlichen Verkehrsverbünden, ohne dafür einheitliche Tarife oder ein einheitliches System für alle vorzuschreiben? Diese Kernfrage bildete 2002 den Startschuss für ein Forschungsprojekt, das in der VDV-Kernapplikation gipfelte, ein gemeinsamer deutscher Standard, mit dem Verkehrsunternehmen e-Ticketing anbieten können, interoperabel, intermodular, aber weiterhin nach ihren individuellen Tarifstrukturen. Das IT-TRANS Team sprach mit Nils Zeino-Mahmalat, Geschäftsführer der VDV eTicket Service GmbH, über die Vorteile und Herausforderungen rund um e-Ticketing.
Was wünschen sich Nutzer heute von ÖPV-Ticketsystemen?
- Zeino-Mahmalat: Fahrgäste wünschen sich von ÖPV-Ticketsystemen vor allem einen einfachen Zugang, der ohne Tarifwissen funktioniert. Niemand steht gerne ratlos vor einem Fahrplan und rätselt, ob es für die Fahrt vom Bahnhof zum Hotel nun Preisstufe 1b, die Kurzstrecke für Erwachsene oder etwas ganz anderes braucht. Außerdem möchten Fahrgäste flexibel bezahlen. Ein Automat, der nur passendes Kleingeld akzeptiert, ist das Gegenteil. Und das Kaufen eines Tickets soll schnell gehen.
Vor welche Herausforderungen stellt das die Verkehrsunternehmen?
- Zeino-Mahmalat: Die Kundinnen und Kunden wünschen sich digitales, mobiles Ticketing und einfache Bedienbarkeit – egal ob per App oder mit der Chipkarte. Das müssen die Verkehrsunternehmen anbieten. Konkret bedeutet das, dass sie ihr Angebot, ihre Vertriebsplattformen und ihren Kundenservice noch weiter digitalisieren müssen. Das beginnt bei der App und endet bei der Verständlichkeit und Bedienbarkeit der Fahrscheinautomaten am Gleis oder im Fahrzeug.
Wie (zeit)aufwändig ist eine Umstellung des Ticketings auf eTicket Deutschland?
- Zeino-Mahmalat: Wie lange genau die Umstellung dauert, hängt von der Ausgangslage beim jeweiligen Verkehrsunternehmen beziehungsweise der Komplexität im Verkehrsverbund ab.,. Auch die personellen Ressourcen innerhalb des Verkehrsunternehmens spielen für den Zeitplan eine Rolle. Ebenfalls wichtig: wie viele Lesegeräte, Automaten und Bordrechner müssen umgerüstet werden? Bei eTicket Deutschland haben wir Unternehmen erlebt, bei denen die Umsetzung nur 14 Monate dauerte. Bei anderen war erst nach mehreren Jahren alles digitalisiert.
Wie sieht es mit der Sicherheit aus – z.B. Datensicherheit für Kunden, Fälschungssicherheit für die Verkehrsunternehmen?
- Zeino-Mahmalat: Der Datenschutz wurde bereits bei der Entwicklung der VDV-Kernapplikation (VDV-KA) gemeinsam mit den Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes gesichert. Das System hinter eTicket Deutschland orientiert sich an den Richtlinien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Sofern es sich nicht um ein anonymes Prepaid-e-Ticket handelt, werden auf einer Chipkarte Name, Geschlecht und Geburtsdatum des Fahrgastes sowie das Ticket selbst gespeichert. Tickets nach VDV-KA sind vor Fälschungen geschützt. Das gilt sowohl für die klassische Chipkarte (Monatskarte, Jahresabo, Jobticket) als auch für Handytickets, die mit dem Kopierschutz Motics des VDV eTicket Service ausgegeben werden.
Welche weiteren Vorteile bieten e-Tickets?
- Zeino-Mahmalat: Für Fahrgäste sind e-Tickets intuitiver und bequemer. Für Verkehrsunternehmen sind sie sicherer, weil sie vor Kopien und Fälschungen geschützt sind. Außerdem ist eTicket Deutschland interoperabel, kann also verkehrsverbundübergreifend eingesetzt werden. Davon profitieren Fahrgäste und Verkehrsunternehmen.
Stichwort intermodularer Verkehr: Kann eTicketing hier zu einer vereinfachten Abwicklung für den Nutzer beim Wechsel zwischen verschiedenen Modulen führen – vom Bus zum Zug und dann zum E-Roller?
- Zeino-Mahmalat: Klares Ja. Mit eTicket Deutschland lassen sich neben dem klassischen ÖPNV auch andere Verkehrsmittel wie Carsharing, Bikesharing oder Scooter nutzen und bezahlen. Zwei Beispiele dafür sind die KVB-Fahrräder in Köln, die sich mit einem Jobticket oder einer Monats- beziehungsweise Jahreskarte nutzen lassen, sowie das MVGmeinRad der Mainzer Verkehrsgesellschaft. Theoretisch ließen sich auch der Zoobesuch oder ein Tag im Schwimmbad mit dem eTicket bezahlen.
Welche „Ausgabeform“ wird sich Ihrer Meinung nach langfristig durchsetzen – Karte, Smartphone, Wearables,…?
- Zeino-Mahmalat: Es läuft mittelfristig auf eine Mischung aus Chipkarten und Smartphone hinaus. Smartphone vor allem auch wegen der Einführung des Motics, der das gleiche Sicherheitsniveau wie bei einer Chipkarte auf das Smartphone bringt. Damit haben Verkehrsunternehmen und Fahrgäste die Wahl, wo welche Art von Ticket abgelegt werden soll. Die Nachfrage nach Wearables ist noch sehr zurückhaltend. Grundsätzlich ist das Medium im Kontext von eTicket Deutschland aber egal. Alles, was einen sicheren Chip und eine Antenne hat, kann ein eTicket sein.
Gibt es besonders erfolgreiche, nutzerfreundliche oder flexible Beispiele für den Einsatz von eTicket Deutschland?
- Zeino-Mahmalat: Aktuell ist eTicket Deutschland in neun von zehn Metropolregionen im Einsatz, hauptsächlich in Form von Chipkarten. Insgesamt sind mehr als 15 Millionen Chipkarten mit eTicket Deutschland aktiv, werden also von Fahrgästen genutzt. Die ersten eTickets gab es übrigens 2005 in Saarbrücken. Besonders schöne Beispiele für eTickets gibt es zum Beispiel in Schwäbisch Hall und im Bodensee-Oberschwaben Verkehrsverbund, wo Menschen den ÖPNV mit Check in/Check out-Funktion nutzen können. Sie halten also beim Ein- und Aussteigen in ein Fahrzeug ihre Chipkarte an ein Lesegerät, die Abrechnung geschieht im Hintergrund. Und in Münster können sich Fahrgäste am Automaten Prepaid-Tickets auf Chipkarten kaufen und damit 90 Minuten lang jeden Bus auf jeder Linie nutzen.
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