06. Mai 2024
Data Governance: Der Mobilitätssektor sortiert zunehmend seine Daten
Die Touristikbranche hat das Problem schon weitgehend gelöst. Egal, ob Kunden ihre Pauschalreise online oder im Reisebüro buchen: Bei der Angebotssuche wird nicht nur weitgehend auf dieselbe Datenbank „Traveltainment“ zugegriffen. Inzwischen stellen auch immer mehr Veranstalter, die ihre Angebote in die Datenbank einspeisen, ihre Informationen im selben Datenformat bereit – im Offenen Touristischen Datenstandard (OTDS). Damit sich OTDS branchenweit durchsetzt, hat sich sogar ein Verein gegründet, der von weiten Teilen der Tourismusindustrie unterstützt wird.
Von solchen geordneten Verhältnissen ist der Mobilitätssektor noch weit entfernt. Ob im Vertrieb, in der Telematik oder im operativen Bereich – auch dort wird mit Daten gearbeitet, teilweise sogar in großen Mengen. Unternehmensübergreifende Ansätze, um die Informationen zentral zu verwalten und sie effizienter als bisher nutzen zu können, gibt es aber nur in Ansätzen. Insellösungen sind im Verkehrssektor noch weit verbreitet. Und dies, obwohl die EU bereits 2017 eine Vereinheitlichung gefordert hat: In einer Verordnung verpflichtete sie alle Mitgliedstaaten, sogenannte National Access Points (NPS) zu schaffen, zentrale Orte, über die elektronische Daten der öffentlichen und individuellen Verkehrssysteme bereitgestellt werden können.
Die Deutsche Bahn (DB) erkannte schon vor der EU-Verordnung die Vorteile von Data Governance. Der Bahnkonzern gab sich die Strategie „DB2020+“. Ein wesentlicher Leistungsbaustein der Offensive war und ist die Erneuerung der Kundeninformationssysteme am Bahnhof, in den Zügen sowie in den mobilen Plattformen.
Die Hard- und Software-seitige Landschaft bei Kundeninformationssystemen der DB ist bis heute teilweise gekennzeichnet durch historisch gewachsene Insellösungen. Das führt dazu, dass verschiedene Systeme nur bedingt miteinander kommunizieren können. Die Folge: Hohe Latenzzeiten, die etwa dazu führen können, dass der Reisende in der DB-App Navigator andere Daten vorfindet als auf den Anzeigen am Bahnhof – zu Gleiswechseln etwa, Anschlussverbindungen oder veränderten Wagenreihungen. Inzwischen hat die DB eine zentrale Reisendeninformations-Plattform geschaffen, um einen single point of truth zu etablieren. „Die Entwicklung der RI-Plattform ist auf einem sehr guten Weg“, heißt es von Seiten der Deutschen Bahn. Abgelöst sind jedoch noch nicht alle Inselsysteme innerhalb des Konzerns. So liefert die RI-Plattform noch keine Daten an die LCD-Anzeiger der S-Bahnsysteme.
An Data Governance arbeiten aber auch andere Akteure im Mobilitätssektors. Im Rahmen eines vom Bundesverkehrsministerium geförderten Projekts befasste sich etwa das IP/IT & Datenschutzteam der BDO Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit der Frage des rechtssicheren Zugangs zu und der Nutzung von Fahrzeugdaten. Ziel des Projekts war es, Daten aus Bussen des öffentlichen Personennahverkehrs mit klimaneutralen Antriebsformen auszulesen und mittels KI Erkenntnisse zur Optimierung des Einsatzes zu gewinnen, insbesondere zum Ladeverhalten von Elektrobussen, zur Schulung von Mitarbeitern oder im Hinblick auf die vorausschauende Wartung der Fahrzeuge. Zwar sollten die Ergebnisse der Untersuchung auf die Bahnbranche übertragbar sein. Jedoch: „Die Bestrebungen zu einer branchenweiten Standardisierung entwickeln sich – insbesondere vonseiten der Hersteller – bisher eher schleppend“, schrieben Matthias Niebuhr, Fachanwalt für IT-Recht, und Victor Nellißen, Rechtsanwalt BDO Legal Rechtsanwaltsgesellschaft, in einem Beitrag für das Fachmagazin bahn manager.
Um solche Prozesse zu beschleunigen, hat Siemens Mobility die digitale Business-Plattform Xcelerator gegründet. Die Idee: Die Teilnehmer sollen ihren Schnittstellen für den Datenaustausch öffnen. So soll ein leistungsfähiges Ökosystem von Partnern entstehen, die gemeinsam die digitale Transformation und die Nachhaltigkeit der Mobilität voranbringen.
Seit der Gründung von Xcelerator im Juni 2022 hat sich die Plattform laut Siemens Mobility erfolgreich entwickelt. Allein innerhalb des ersten Jahres sei die Zahl der angeschlossenen Partner auf 96 gestiegen, teilt der Konzern mit, darunter sind Unternehmen wie AWS, Daimler Truck, SAP, IBM, NTT Data, Cellforce, Microsoft und Bentley, teilte Siemens mit. Gearbeitet wird unter anderem an Lösungen, die bei der Batterieproduktion helfen oder bei der vorausschauenden Wartung. In der Mobilitätsbranche sind die Xcelerator-Partner zwar allesamt unterwegs. Bis zu einem National Access Point, wie ihn sich die EU für den Wirtschaftssektor vorstellt, ist es jedoch noch ein weiter Weg – und bis zu geordneten Verhältnisse wie in der Touristikbranche auch.