4. September 2024

Effizienter Linienbetrieb durch flexible Routen

Serie „Startups im Fokus“: Flexible Busdienste machen den öffentlichen Verkehr in Gebieten mit bislang geringer Nachfrage attraktiver

Im ländlichen Raum werden Strecken nach wie vor größtenteils mit dem PKW zurückgelegt. Um auch dort ein öffentliches Mobilitätsangebot zu machen, wo Menschen aufgrund unzureichender Anbindungen auf ihr Privatauto angewiesen sind, können digitale Lösungen Busdienste flexibilisieren und sie dadurch attraktiver für Nutzende und effizienter für Anbietende gestalten.

Im Rahmen unserer Serie „Start-ups im Fokus“ stellen wir Ihnen ein Unternehmen vor, das sich dieses Jahr nicht nur in der IT-TRANS Start-up Zone präsentiert hat, sondern auch den Future Mobility Award gewonnen hat: Nemi. Der Future Mobility Award zeichnet innovative sowie nachhaltige Mobilitätslösungen aus.

Das 2020 gegründete Unternehmen aus Barcelona hat ein eigenständiges Software-Tool entwickelt, das On-Demand-Busdienste bereitstellt und Routen optimiert. Indem nur die Haltestellen angefahren werden, die vorab von den Fahrgästen angefordert wurden, wird das ÖPV-Angebot flexibler und effizienter. Das wiederum macht den öffentlichen Verkehr auch in Gebieten mit bislang geringerer Nachfrage attraktiver für Betreiber und Fahrgäste. Wir haben mit Abby Meuli gesprochen, R&D Project Manager von Nemi.

Frau Meuli, was sind Ihrer Meinung nach die drängendsten Herausforderungen im öffentlichen Verkehrswesen?


Eine der dringlichsten Herausforderungen für den öffentlichen Nahverkehr besteht darin, ihn auch außerhalb der urbanen Zentren effizient zu gestalten. In vielen europäischen Städten, so auch in Barcelona, ist das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln hervorragend und bietet für jede Strecke zahlreiche Optionen. In ländlicheren Gebieten sieht das jedoch anders aus. Dort müssen die Menschen noch oft auf ihr eigenes Auto zurückgreifen. Das ist ein Problem, das nicht wenige Menschen betrifft. Etwa 30% der EU-Bevölkerung lebt auf dem Land.


Niedrige Fahrgastzahlen führen zu geringen Einnahmen, und diese erschweren es den öffentlichen Verkehrsbetrieben, ein gutes Nahverkehrsangebot zu realisieren. Die Lösungen für dieses Problem sind vielfältig: Anstatt die bewährten Modelle des öffentlichen Verkehrs aus den Städten zu kopieren, müssen Konzepte an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Ein Ansatz sind zum Beispiel Fahrgemeinschaften. Anstatt allein zu fahren, nimmt ein privater Fahrer auch noch andere mit, die eine ähnliche Route zurücklegen müssen. Ebenso kann die Paketzustellung in ländlichen Gebieten in den öffentlichen Busverkehr integriert werden – und das wiederum könnte auch die lokale Wirtschaft ankurbeln.

Zu guter Letzt ist ein nachfrageorientierter Verkehr eine wichtige Ergänzung für Gebiete, in denen der Linienverkehr selbst zu wenig effizient wäre. Das On-Demand-Transportsystem von Nemi ermöglicht es den Menschen, ihren Sitzplatz im Bus vorab zu reservieren – und die Fahrerin oder der Fahrer hält nur an den Orten, die zuvor ausgewählt wurden. Das Potenzial dieses Systems liegt darin, dass es so auch in Gegenden Haltepunkte geben kann, in denen es zuvor kaum oder keinen Zugang zum ÖPV gegeben hat. Somit können auch Menschen in bisher unzureichend angebundenen Gebieten Verkehrsdienstleistungen nutzen und sind nicht länger auf ein Privatfahrzeug angewiesen, um zur Arbeit oder zur Schule gelangen.

Was braucht es, um mehr Menschen zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen?

Wie bereits erwähnt, müssen öffentliche Verkehrsmittel, wenn sie mehr genutzt werden sollen, auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten sein. Allzu oft entsprechen die bestehenden öffentlichen Verkehrsmittel jedoch nicht den Bedürfnissen der Nutzenden. Dies ist vor allem in ländlichen Gebieten so, in denen Busse nur sehr selten oder zu Zeiten verkehren, die es den Menschen nicht ermöglichen, ihre Arbeit, Bildung oder soziale Angebote zu erreichen.

Die Entwicklung wirksamer Lösungen für den öffentlichen Verkehr erfordert somit auch eine intensive Auseinandersetzung mit den Fahrgästen. Die Zeiten, in denen Entscheidungen hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der Nutzerinnen und Nutzer getroffen werden, sollten vorbei sein. Bei Nemi legen wir bei der Gestaltung unserer Dienstleistungen großen Wert auf das Feedback unserer Kundinnen und Kunden. Vor kurzem haben wir mehr als 60 ausführliche Interviews geführt, indem wir uns direkt in den Bussen mit den Fahrgästen unterhalten haben. Dieser pragmatische Ansatz hat uns wertvolle Erkenntnisse geliefert.

Dadurch haben wir zum Beispiel erfahren, dass einige ältere Menschen Schwierigkeiten mit Apps haben, WhatsApp jedoch gut beherrschen. Unsere Lösung: Wir haben einen WhatsApp-Bot entwickelt, mit dem Plätze im Bus über eine einfache Chat-Funktion gebucht werden können, ohne dass eine separate App erforderlich ist. Diese Neuerung war ein echter Wendepunkt, da sie unseren Service sehr viel zugänglicher macht, insbesondere für ältere Menschen oder Gelegenheitsnutzende wie Touristen.

Was sind Ihre Erfahrungen als Start-up bzgl. externer Faktoren: Gibt es Hürden, die Ihnen als junges Unternehmen das Leben schwer machen oder umgekehrt Booster, die Sie voranbringen?

Als Start-up sind wir auf Agilität und Schnelligkeit angewiesen. Die Arbeit im öffentlichen Nahverkehr kann jedoch eine Herausforderung darstellen. Das komplexe Geflecht von vertraglichen, politischen und finanziellen Rahmenbedingungen führt dazu, dass die Umsetzung unseres Services oft länger dauert, als uns lieb ist.

Dass nachhaltige Mobilität immer wichtiger wird, gibt uns hingegen Schubkraft. Staatliche Initiativen wie die Sustainable Urban Mobility Plans verändern die Art und Weise, wie Städte und Umland das Verkehrswesen steuern. Dieses Umdenken geht Hand in Hand mit unserem Ziel, mit unserer Lösung die Fahrstrecken der Busse zu minimieren, die CO2-Emissionen zu reduzieren und die Abhängigkeit von privaten Autos zu verringern.

Darüber sind öffentliche Verkehrsbetriebe zunehmend offen für innovative Lösungen wie die von Nemi. Ihr Enthusiasmus für On-Demand-Dienste verdeutlicht, dass sie die erheblichen Vorteile erkennen, die unser Ansatz den Menschen bieten kann. Diese Unterstützung ist wichtig, um unsere Ziele voranzutreiben und unseren Einfluss im Mobilitätssektor zu vergrößern.

Zum Abschluss: Was waren Ihre Erfahrungen bei der IT-TRANS und was würden Sie eventuell anderen Startups mitgeben?

Wir hatten eine fantastische Zeit auf der IT-TRANS, wo wir nicht nur alte Freunde und bekannte Player getroffen haben, sondern auch neue innovative Unternehmen kennengelernt haben. Für uns ist die IT-TRANS eine einzigartige Gelegenheit, sich mit den führenden Unternehmen der Branche zu vernetzen.

Nach einem begegnungsreichen Tag waren das Family Dinner, die Networking-Night und das gemeinsame Trommeln echte Highlights. Ich war wirklich beeindruckt von den Dance Moves auf der Tanzfläche: zu später Stunde gab es da wirklich kein Halten mehr. Wir sehen uns auf der IT-TRANS 2026!